Alte Meister: Von der Spätgotik zur Renaissance
Von Wilfried Kropp
Ein Goldenes Zeitalter hinterließ Spuren, die uns bis heute faszinieren. Beginnen wir in Augsburg, um 1500 eine europäische Metropole, weitaus bedeutender als das nahe gelegene München. Augsburg, die Fugger-Stadt, wurde von einer Händlerfamilie geprägt, die märchenhaften Reichtum erlangte, aber auch existenzbedrohende Krisen durchlebte. Jakob Fugger, später „der Reiche“ genannt, war – um es mit heutigen Begriffen zu benennen – immer innovativ, passte sein Geschäftsmodell an neue Gegebenheiten an, nutzte schnelle Kommunikation als Wettbewerbsvorteil und arbeitete effizient mit neuen Technologien.
Die Zeit um 1500 war eine Zeit des Umbruchs: Amerika und Asien waren entdeckt und wurden von europäischen Herrschern und Unternehmern ausgebeutet. Die zunehmende Popularität des Buchdrucks förderte die Verbreitung reformatorischer Ideen. Die lebhafte Reisetätigkeit der Eliten trug zur Verbreitung neuer Ideen bei. Italienisch wurde zur Business-Sprache der Neuzeit.
DIE WIEGE DER RENAISSANCE IM NORDEN
Ein wachsames Auge für Innovationen und neue gesellschaftliche Strömungen befähigte sie auch, die Umbrüche in der Kunst früh zu erkennen. Den Übergang von der Spätgotik, für die etwa Tilman Riemenschneider steht, zu den Renaissance-Künstlern wie Albrecht Dürer, Lucas Cranach und Hans Holbein haben sie früh wahrgenommen und durch Aufträge und Handel gefördert.
Die Metropole Augsburg zog Künstler und Politiker an. Albrecht Dürer porträtierte 1518 bei einem Reichstag in Augsburg Kaiser Maximilian. Auch von Jakob Fugger gibt es ein Dürer-Porträt. Hans Fugger versorgte später die Wittelsbacher Herrscher in München mit Kunst und Kuriositäten. Augsburgs Händler verbanden ihre Stadt mit den blühenden Metropolen Antwerpen, Brügge und Gent sowie mit Venedig, Florenz und Rom. Ohne Augsburg hätte es keine Renaissance im Norden gegeben.
MALEN NACH DER NATUR

In Brügge begannen die Brüder Hubert und Jan van Eyck im Auftrag des wohlhabenden Stifterehepaares Vijd mit der Arbeit an einem großen Altarbild für die St. Bavo Kathedrae, das heute unter dem Begriff „Lamm Gottes“ bekannt ist. Jan van Eyck, der das Altarbild nach dem Tod seines Bruders im Jahr 1432 vollendete, sprengte das enge Korsett der Gotik. Die Personen wurden jetzt „nach der Natur gemalt“ – also als Individuen, nicht mehr wie in der Gotik nach dem religiösen Sinngehalt. Ein epochales Werk.
Gleichzeitig hat van Eyck mit einer neuen Maltechnik seine nachfolgenden Kollegen, unter anderem auch Albrecht Dürer, beeindruckt: Durch das mehrmalige Übermalen mit Ölfarben entstanden eine besondere Tiefenwirkung und eine Strahlkraft, die nach der jüngsten Restaurierung besonders ins Auge sticht. Bei all den ernsten, religiösen Themen arbeitete van Eyck auch mit visuellen Spielereien: Die Grisaille-Technik an den Seitenteilen täuscht plastische Statuen vor, obwohl sie nur in Grautönen gemalt sind.
WENIG KÜNSTLERISCHE FREIHEIT


Bleiben wir noch kurz in der Gotik. In der fränkischen Stadt Würzburg befindet sich eine bedeutende Sammlung von Werken des Steinbildhauers Tilman Riemenschneider, der auch in Holz gearbeitet hat.
Riemenschneider und andere Künstler wurden von ihren Auftraggebern als Handwerker gesehen, die detailgetreu ihre Vorgaben erfüllen sollten. Von künstlerischer Freiheit war nicht die Rede. Die Aufträge wurden in Werkstätten mit mehreren Gesellen abgearbeitet – selbstverständlich nach Vorgaben des Meisters. So kommt es, dass viele Figuren Riemenschneiders die gleichen Elemente aufweisen: den zur Seite geneigten Kopf, die mandelförmigen Augen, den expressiven Faltenwurf.
Arbeiten, die aus der handwerklichen Routine herausfallen wie die Steinfiguren Adam und Eva am Südportal der Würzburger Marienkapelle, gelten als originäre Werke Riemenschneiders. Heute sind an der Kirche nur Kopien zu sehen, die Originale befinden sich im Museum für Franken in der Festung Marienberg, oberhalb der Würzburger Altstadt.
DIE AURA DES ORIGINALS

Die Werke in den Kirchen zu sehen, für die sie geschaffen wurden, ist besonders eindrucksvoll: Wenn spätnachmittags Sonnenstrahlen auf einen Riemenschneider-Altar fallen, strahlt das Lindenholz warm. Hier wirkt die Aura des Originals. Niemand kann sich diesem Zauber entziehen. Besonders eindrucksvoll: In Volkach die Kirche Maria im Weinberg, in Creglingen die Herrgottskirche und in Rothenburg ob der Tauber die St. Jakobskirche.
Aber auch das gehört zur Geschichte: Riemenschneider, obwohl als Künstler und Bürgermeister der Stadt Würzburg hochgeachtet, stellte sich auf die Seite der Bauern und Bürger, als die sich gegen die Privilegien vor allem der Kirchen und Klöster wendeten. Nach einer verlorenen Schlacht gegen das Heer des Fürstbischofs wurde er gefangengenommen, gefoltert und seines Vermögens beraubt.
GLANZSTÜCKE DER DEUTSCHEN RENAISSANCE
Was von Eyck in Flandern begonnen hat, setzten deutsche Renaissancekünstler wie Albrecht Dürer, Hans Holbein d.J., Lucas Cranach und Hans Burgkmair d. Ä. in Perfektion fort: Malen „nach der Natur“, Menschen in ihrer persönlichen Umgebung, äußerste Präzision bei der Darstellung von Kleidung, Schmuck und Räumen. Mehrere Glanzstücke der deutschen Renaissance können in zwei süddeutschen Städten bewundert werden. In Schwäbisch Hall hat der Unternehmer und Mäzen Reinhold Würth in der Johanniterkirche eine hochkarätige Sammlung Alter Meister zusammengetragen. Mittelpunkt der Sammlung ist „Die Madonna des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen“ von Hans Holbein dem Jüngeren, kurz auch „SchutzmantelMadonna“ genannt. Unstrittig ist dieses Bild mit der fast fotografisch-genauen Darstellung der Stifterfamilie ein Hauptwerk der Renaissance.
DIE ERSTEN KÜNSTLER-LOGOS

Die fränkische Hauptstadt Nürnberg gilt als „die“ Dürer-Stadt schlechthin: Hier wurde er geboren, hier betrieb er seine Werkstatt, von hier aus unternahm er Reisen nach Italien, in die burgundischen Niederlande, nach Augsburg und Frankfurt. Heute sind einige seiner Werke im Germanischen Nationalmuseum, im Umfeld von Zeitgenossen wie Lucas Cranach u.a. zu sehen. Dürer war einer der ersten Künstler, der sich selbst portraitierte - und das gleich mehrfach. Eine Kleinigkeit am Rande: Dürer und Cranach haben ihre Werke mit einem „Logo“ gekennzeichnet: Dürer mit dem „D“ im großen „A“ und Cranach mit der oftmals sehr versteckten „geflügelten Schlange“ - ein Zeichen zunehmenden Selbstverständnisses als individuelle Künstler.
ALTE MEISTER IN WIEN
Die Meisterwerke der nordischen Renaissance sind weltweit verstreut. Der Sammelleidenschaft des Hauses Habsburg und des Herzogs von Teschen ist es aber zu verdanken, dass die Renaissance-Künstler des Nordens prominent in Wien vertreten sind. Das Kunsthistorische Museum zeigt Werke von Lucas Cranach, Albrecht Dürer, Jan van Eyck und weiteren Zeitgenossen. Die Albertina verfügt über den weltweit größten Schatz von Dürer-Zeichnungen, darunter den „Feldhasen“ und das Aquarell „Großes Rasenstück“.
KOMPAKT
Eine Reise zu den Wirkungsstätten großer Gotik- und Renaissance-Künstler lässt sich gut in zwei oder drei Etappen organisieren. Hier ein paar praktische Hinweise.
AUGSBURG
Augsburg nennt sich heute Renaissance-Stadt und betont damit seine Rolle als Handels- und Kunstmetropole in der Neuzeit.
www.fugger-und-welser-museum.de, www.fugger.de, www.augsburg-tourismus.de
GENT
Flandern ist generell ein Paradies für KunstliebhaberInnen und FeinschmeckerInnen. Die Altstadt zeugt von frühem Wohlstand. Das Hauptwerk von Jan van Eyck, das „Lamm Gottes“, kann mit einer Augmented-Reality-Brille im Detail bestaunt werden. Die Kulinarik des Alltags wird durch Pommes & Pralinen geprägt – beide Genussmittel haben in Belgien Kultstatus.
Hotel-Tipp: Marriott, mitten in der Altstadt.
www.visit.gent.be/de
MAINFRANKEN
In Würzburg sind die beiden jahrhundertealten Stiftungen Juliusspital und Bürgerspital die Flaggschiffe des fränkischen Weinbaus und der Gastronomie. Malerisch: Die Mainschleife bei Volkach. Wunderbare Orte der Gastlichkeit mit Blick auf die Weinberge sind die Vogelsburg bei Volkach und die Hallburg bei Nordheim. Weitere Orte, die einen Besuch lohnen: Dettelbach, Iphofen, Prichsenstadt, Sommerhausen und Castell.
Hotel-Tipp: Zur Sonne, Nordheim. Traditionelles Gasthaus mit modernem Gästehaus.
www.museum-franken.de/, www.frankentourismus.de/gebiete/fraenkisches-weinland/
SCHWÄBISCH-HALL UND NÜRNBERG
Die Fülle von Museen, historischen Altstädten, Schlössern und Burgen in dieser Region ist unübersehbar. Kunstinteressierte kommen hier auch kulinarisch auf ihre Kosten.
Hotel-Tipp: Wald- und Schlosshotel Friedrichsruhe, Zweiflingen. Eines der besten Landhotels in Deutschland.
www.kunst.wuerth.com, www.gnm.de, museen.nuernberg.de, www.wege-zu-cranach.de
DER AUTOR
Wilfried Kropp hat unzählige Werke zum Thema Spätgotik und Renaissance durchgeackert, um sich auf seine Reise zu den Schätzen zwischen Gent und Augsburg, Würzburg und Wien vorzubereiten. Was ihn besonders begeistert hat: die eng verwobenen Zusammenhänge von Wirtschaft, Politik und künstlerischem Schaffen.