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Per Fahrrad zu neuen Perspektiven

Bisher hatte das Fahrrad, wie in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern, in Marokko keinen hohen Stellenwert. Nur wer sich kein Auto, Moped oder Taxi leisten kann, tritt selbst in die Pedale. Mit der NGO „Pikala“ hat eine junge Niederländerin ein Projekt in Marrakesch ins Leben gerufen, das jungen Menschen berufliche Perspektiven rund um das Fahrrad ermöglicht.

Wer wäre besser geeignet, das Fahrrad als modernes, umweltfreundliches und schickes Fortbewegungsmittel in der Stadt zu etablieren als eine junge, energiegeladene Holländerin? Als die 27-jährige Cantal Bakker vor ein paar Jahren das erste Mal nach Marrakesch kam, war sie auf Anhieb begeistert. Die verwinkelte Medina, die lebensfrohen Souks, die warmen Farben und natürlich die freundlichen Menschen. Nur eines fehlte ihr, um die Stadt zu erkunden: ein Fahrrad. Also borgte sie sich am Tag nach ihrer Ankunft ein „Pikala“, so werden Fahrräder im marokkanischen Slang bezeichnet, aus und radelte drauflos.

Da Pikalas nur von ganz Armen benützt werden, wurde Cantal von niemandem wie ein Tourist behandelt. „Die Leute haben mich sofort akzeptiert. Noch nie habe ich so eine große Veränderung gespürt, wenn ich mit dem Rad unterwegs war. Das war für mich eine enorme Inspiration“, erzählt Cantal Bakker.

Nachhaltige Mobilität

Nach ihrer Urlaubsreise war Cantal schnell klar, dass sie wiederkommen musste. „Marrakesch hat mich gefunden. Nicht umgekehrt“, lacht sie. Anfang 2016 begann sie mit einer privaten Investition von 9.000 Euro ihre Vision zu realisieren: Das Fahrrad als nachhaltiges Fortbewegungsmittel in Marrakesch zu etablieren und dadurch Arbeitsplätze für junge Menschen zu schaffen, als Fahrrad-Guides für Touristen, als Mechaniker oder auch als Zulieferer für die Ausstattung. Bastkörbe, bunte Griffe und Sitze machen die rund 300 Fahrräder unverwechselbar.

Der Zeitpunkt war günstig. Die UN-Klimakonferenz Ende November 2016 in Marrakesch hatte Regierung und Bevölkerung für das Thema sensibilisiert. Gut 65% der knapp einen Million Einwohner der Stadt sind unter 21. Cantal weiß, dass gerade junge Menschen Mobilität brauchen. Und Ausbildung und Arbeit. Genau hier wollte sie mit Pikala ansetzen. Studenten, die Englisch beherrschen, lernen, Gäste auf Fahrradtouren durch die Stadt zu führen. Dabei werden sie ermutigt, ihr eigenes Marrakesch zu präsentieren und auch Aspekte abseits der klassischen Sehenswürdigkeiten zu zeigen.

Frauen, traut euch!

Cantals Konzept überzeugte auch die TUI Care Foundation, eine Stiftung des TUI-Konzerns, die weltweit nachhaltige Unternehmen finanziert. In absehbarer Zeit soll sich die NGO selbst erhalten können. Ursprünglich war Pikala am Stadtrand angesiedelt. Nach knapp zwei Jahren waren die Gespräche mit der Stadtverwaltung so weit fortgeschritten, dass inzwischen eine neue, zentral gelegene Garage bezogen werden konnte. Dort lernen junge Leute von holländischen und britischen Mechanikern, Fahrräder zu reparieren. „Die Frage ist, wie man das Fahrrad in die marokkanische Kultur integrieren kann“, erzählt Cantal und fügt hinzu: „Ich möchte das Image der Mechaniker verbessern, das ist nicht zwangsläufig jemand, der in einem finsteren Loch arbeitet, wie es hier weit verbreitet ist.“ Nach der Schule können Kinder ihre Fahrräder zum Richten vorbeibringen und dabei selbst lernen, wie es geht.

Derzeit profitieren rund 90 junge Menschen von der Möglichkeit, bei Pikala eine Ausbildung zu erhalten, mit dem Ziel, dass sie sich später mit eigenen Unternehmen selbstständig machen können. Da all diese Bereiche in der marokkanischen Kultur bisher Männern vorbehalten waren, legt Cantal Bakker großen Wert darauf, auch Frauen das Radfahren und Gruppenführen beizubringen. Für Mädchen und ihre Mütter wurden eigene Kurse etabliert.

Kleine Schritte, große Wirkung

Mittelfristig strebt Cantal an, die vielen Scooter aus der Altstadt zu verdrängen. Dabei will sie Mopedlenker nicht kritisieren, sondern einfach auffordern, auch mal ein Fahrrad auszuprobieren. Aufmerksamkeit erregen kreativ gestaltete Räder, wie etwa ein „Binatna“, (übersetzt: „zwischen uns“) ein Bier-Bike, auf dem ganze Gruppen gleichzeitig in die Pedale treten, allerdings ohne dabei Bier zu trinken. Oder ein Fahrrad mit angeschlossener Erdnussmühle sowie ein Modell mit vier Sitzen, aber nur einem Paar Pedalen. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Das Material erhält Cantal aus den Niederlanden. Herrenlose Räder werden in Den Haag regelmäßig eingesammelt. Anstatt sie zu verschrotten, werden sie an Pikala nach Marokko geliefert.

Ein Lieferservice per Rad ist noch im Aufbau, ebenso wie das Pilotprojekt „Ring Ring“. Über eine App werden die zurückgelegten Kilometer aufgezeichnet und mit kleinen Geschenken wie Gutscheinen für einen Kaffee belohnt. Darüber hinaus bietet Pikala auch Sicherheitstrainings für Radfahrer an. Dass dieses Konzept auch in anderen Ländern auf fruchtbaren Boden fallen könnte, zeigen Anfragen aus Senegal, Griechenland und Israel. Cantals Vision ist ambitioniert: die ganze Welt eine Fahrrad-Stadt. Dennoch zeigt sie sich bescheiden: „Ich glaub nicht, dass ich sehr außergewöhnlich bin. Das kann doch jeder machen.“

Informationen

Pikala Buchungen

Eine ca. 3stündige geführte Radtour kostet 250 DIR (=22,50 EUR). Im Preis inkludiert sind Wasser, Obst, ein Stopp in einem Café. Pro Gruppe maximal acht Personen bei zwei Guides. Räder können auch tageweise gemietet werden. www.pikalabikes.com

TUI Care Foundation

2017 gegründet, unterstützt die TUI Care Foundation weltweit Projekte, die vorwiegend jungen Menschen Zukunftsperspektiven eröffnen, Natur und Umwelt schützen sowie die nachhaltige Entwicklung von Urlaubsdestinationen fördern. In Partnerschaften mit regionalen und internationalen Organisationen soll nachhaltiger Wandel erzielt werden. Spenden fließen vollständig in Projekte und Projektpartnerschaften. Administrative Kosten der Stiftung werden von TUI getragen. Bis Ende 2018 sollen rund 60 Projekte unterstützt werden.

Die Autorin war auf Einladung von TUI / TUI Care Foundation in Marrakesch mit Pikala unterwegs.

Dieser Artikel wurde verfasst von:

Herausgeberin / Chefredakteurin

Elo Resch-Pilcik, Mitgründerin des Profi Reisen Verlags im Jahr 1992, kann sich selbst nach 30 Jahren Touristik - noch? - nicht auf eine einzelne Lieblingsdestination festlegen.

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