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Mittelböhmen: Von Licht und Finsternis

Bei nächtlicher Beleuchtung wirkt der gotische Dom der Hl. Barbara in Kutná Hora (Kuttenberg) wie ein Phantasiegebilde aus der Disney-Werkstatt, filigran und luftig, als könnte ein Windstoß ihn wegtragen. Unterhalb des Doms verläuft eine mittelalterliche Silbermine, in der wir das Fürchten lernen, als unsere Führerin kurz das Licht ausknipst.

Ein flackerndes Flämmchen in einer Ölpfütze war das einzige „Geleucht“ (Fachsprache), das den Minenarbeitern die Stollen erhellte; ging dieses aus, war es stockdunkel. Dann mussten sie sich durch Klopfzeichen bemerkbar machen und hoffen, dass Hilfe eintreffen würde. Angeblich war ihr Hörsinn so geschärft, dass sie am Klang erkennen konnten, wenn ihre Hämmer auf Silber stießen.

Über schmale Leitern gelangten sie so ungefähr 40 Meter hinab an ihre Arbeitsplätze und wieder hinauf ans Tageslicht, an das sie sich erst wieder gewöhnen mussten, Stunden soll das gedauert haben. Eng und feucht sind die Gänge und oft so niedrig, dass man sich nur tief gebückt durchzwängen kann. Also echt, da ist mein Job doch besser.

Deshalb der Dom

Gut nachvollziehen kann ich nach meinem Besuch in der Unterwelt, dass man dort gern eine Schutzheilige in Rufweite hat, wenn es eng wird. So kam die Hl. Barbara ins Spiel und so entstand der Dom, den die Bergleute ihr widmeten. Ab dem 14. Jh. wurde er hochgezogen und nach vielen Unterbrechungen Anfang des 20. Jh. vollendet, wobei das Wort „vollendet“ hier vollendet passt: Anmutig von Streben umkränzt und von drei zeltartigen Dächern gekrönt, die Innenräume reich geschmückt, war er, gemeinsam mit der Altstadt Kutná Horas, der UNESCO das Weltkulturerbesiegel wert.

Dazu zählt auch das gleich neben dem Dom errichtete frühbarocke Jesuitenkolleg, das heute eine Kunstgalerie der Moderne beherbergt und mit der „Kuttenberger Illumination“ (15. Jh.) einen Kunstschatz sondergleichen: eine Darstellung der Arbeitswelt des Silberbergwerks – lang verschollen, 2009 bei einer Sotheby's-Auktion wundersam wieder gefunden und heimgebracht.

Erst der König

Eine stimmungsvolle Kulisse bilden der Dom, die Gassen und Plätze der Stadt für das sommerliche Mittelalter-Festival „Königliches Versilbern“, das mit Theater, Jahrmarktbuden, Karussell, Ritterturnieren, Raubvögel-Vorführungen, traditioneller Kost und Feuerwerk begangen wird und ordentlich Zauber entfaltet (sogar, wenn man kein Wort Tschechisch versteht). Auf seinem Weg zur Bühne begegnet mir in einer schmalen Gasse der majestätisch ausstaffierte König Wenzel IV, würdevoll schreitend, und reicht mir huldvoll die Hand; ich knickse tief.

Knapp wird meine Zeit, den weiteren Kulturschätzen Kutná Horas die Reverenz zu erweisen, dem Welschen Hof (13. Jh.), in dem das Silber zum „Prager Groschen“ geprägt wurde, und dem „Steinernen Brunnen“ (15. Jh.). Das Ossarium der Allerheiligenkirche im Stadtteil Sedlec (Sedletz) muss noch erwähnt werden: Knochen von rund 10.000 menschlichen Skeletten wurden hier zu „Kunstwerken“ angeordnet, zu Kronleuchtern, Wappen, Glocken, Girlanden – so was von makaber.

Dann der Kaiser

Immens richtungweisend war die Herrschaft Karls IV (1316–1378) für Europas Geschichte. Die erste mitteleuropäische Universität hat er gegründet und Prag zur Goldenen Stadt gemacht. Die Karlsbrücke über die Moldau, der gotische Veitsdom: alles Er! Und, so erfahre ich im Lauf meiner Reise, er hat den Weinbau gefördert und angeordnet, den Reben mehr Platz einzuräumen. Herzlichen Dank, mein Kaiser!

Edle Tröpfchen aus nahen Kellereien werden uns beim Abendessen im Schlosshotel Liblice eingeschenkt, einem Barockschloss samt Konferenzzentrum, Spa und hauseigener Vinothek, das sich freundlicherweise exakt auf unserem Weg positioniert hat und uns nach dem Festmahl in noblen Schlafzimmern unterbringt. Nur ein Hüpfer ist es anderntags ins Städtchen Mělník, überragt von einer wuchtigen Burg und bestechend mit einem weiten Ausblick auf den Zusammen- fluss von Elbe und Moldau. Sowie einem schmucken Marktplatz, dessen Kranz historischer Häuser tief unterkellert ist – perfekt, um Wein zu lagern.

Nun die Reben

Ein ehemaliges Kapuziner-Hospiz ist das heutige Regionale Museum Mělník, in dessen Keller wir die heimischen Sorten durchprobieren, Pinot Blanc, Müller-Thurgau, Grüner Veltliner, Gewürztraminer…

Beschwingt flanieren wir über die historischen Pflaster des Städtchens, mit Appetit machen wir uns über die bodenständigen Schmankerln im Restaurant Pod Hradbami her und finden uns schließlich im Weingut Lobkowicz ein, wo uns Fürstin Betty persönlich empfängt. Charmant führt sie uns durch ihre Kellerei und erzählt uns von der Geschichte des Weinguts, von fürchterlichem Hochwasser (alles wurde nass) und ihrem Stolz, als Quereinsteigerin das Metier der Winzerei – nach anfänglichen Irrungen und Wirrungen – nunmehr gemeistert zu haben: Feine Weine sind es, die das Gut hervorbringt, ein paar davon wandern als Souvenir in meine Tasche.

Ein nettes kleines Menü entwerfe ich wenige Tage nach meiner Heimkehr für liebe Gäste und schenke ihnen Kostproben der böhmischen Beute ein. Die Antwort ist: Ja. Sie munden. Ich darf nachschenken. Maria Hohenau

KOMPAKT

DIE REISE

Die Autorin Maria Hohenau war im Juni 2016 für drei Tage auf Einladung der Tschechischen Zentrale für Tourismus und der Region Mittelböhmen ebendort unterwegs und ließ sich gern die weit über Erwarten beeindruckenden Kulturgüter Kutná Horas und Mělníks zeigen.

DIE ORTE

Kutná Hora: 70km östlich von Prag gelegenes Städtchen mit 20.000 Einwohnern, ab dem 13. Jh. durch den Silberbergbau zu Wohlstand gekommen, dereinst nach Prag zweitgrößte Stadt Böhmens mit sehenswertem gotischen Stadtkern

Mělník: rund 19.000 Einwohner zählende Ortschaft 30 km nördlich von Prag am Zusammenfluss von Moldau und Elbe, im 13. Jh. zur Königsstadt erhoben, mit schmucker Burg und Marktplatz, Zentrum des Weinanbaus und Sitz der ersten Weinbauschule Böhmens

ANREISE

ÖBB-Railjet-Verbindungen von Graz und Wien nach Prag, ÖBB-Bus „Hellö“ Busverbindungen Wien – Prag mit Student Agency und FlixBus

KONTAKT

Tschechische Zentrale für Tourismus: Tel. 01/89 202 99, E-Mail: wien@czechtourism.com, www.czechtourism.com 

WEITERE INFOS

Kutná Hora: destinace.kutnahora.cz
Pension Barbora / Kutná Hora: www.penzionbarbora.cz (direkt beim Dom der Hl. Barbara gelegen)
Festival „Königliches Versilbern“: www.stribreni.cz
Sedletz-Ossarium: www.ossuary.eu
Restaurant Dačicky / Kutná Hora: www.dacicky.com
Schlosshotel Liblice: www.schloss-liblice.com
Regionales Museum Mělník: www.muzeum-melnik.cz
Restaurant Pod Hradbami: nahradbachmelnik.cz
Weingut Lobkowicz / Mělník: www.lobkowicz-vinarstvi.cz

Dieser Artikel wurde verfasst von:

Freie Redakteurin / Senior Editor

Ist seit 1995 Mitglied des Redaktionsteams und genießt die sitzende Tätigkeit am Computer, die ihr den nötigen Ausgleich für ihre täglichen Hundespaziergänge und Qigong-Übungen verschafft.

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